Der XI. Senat des BGHs hat in seinem Beschluss vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 aus seiner Sicht Klarheit über die Frage geschaffen, ob und wann die Annahme der Verwirkung des Widerrufsrechts von Darlehensverträgen, die vor dem Widerruf zurückgeführt/beendet wurden, möglich ist.
Bei dem Widerruf von laufenden Verträgen, sieht der BGH hingegen keinen Anlass für die Annahme der Verwirkung. Hier ist die Bank i.d.R. nicht schutzwürdig, weil sie grundsätzlich immer die Möglichkeit der Nachbelehrung hat (BGH 12.07.2016 Az. XI ZR 564/15). Ausnahmen bestätigen die Regel.
Erfolgt der Widerruf hingegen nach der Beendigung des Darlehensvertrages, hat der BGH die Annahme der Verwirkung eröffnet. In seinem Beschluss vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 geht der BGH sodann beispielhaft auf einige der bisher in der Rechtsprechung aufgegriffene Argumente hinsichtlich der Annahme der Verwirkung des Widerrufsrechts von bereits beendeten Verträgen ein.
Vorausschickend ist zu erwähnen, dass nicht die Rückführung des Darlehens oder die Kündigung oder eine Aufhebung des Darlehens das Widerrufsrecht verwirken lässt, sofern es nicht explizit Gegenstand der Vertragsbeendigung gewesen ist (BGH 21.02.2017 XI ZR 381/16, 14.03.2017 Az. XI ZR 442/16).
Die Verwirkung ist insoweit Billigkeitsrecht und dreht sich weniger um objektive Tatsachen als um unterstelltes Vertrauen der ein oder anderen Partei und ob diese sodann noch damit rechnen musste, dass ein Recht ausgeübt wird.
Der BGH macht in seinem Beschluss vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 dabei deutlich, dass es immer und ausnahmslos in jedem Fall einer Einzelfallwürdigung bedarf, ob eine Verwirkung des Widerrufsrechts vorliegend gegeben ist oder nicht.
Der BGH legt ferner Wert darauf, dass es eine tatrichterliche Würdigung ist, die der BGH nicht überprüfen kann und wird. Dies unabhängig davon ob der Tatrichter die Verwirkung des Widerrufsrechts annimmt oder nicht.
Der BGH kann insoweit nur überprüfen, ob der Tatrichter formal richtig gewürdigt hat und diese Würdigung nicht gegen Denkgesetze verstößt. Ist dies der Fall, ist das Ergebnis für den BGH in Ordnung. Der BGH sieht explizit in der Tatsache, dass dies dazu führt, dass ein Gericht bei einem vergleichbaren Sachverhalt Verwirkung annimmt und ein andere nichts, kein Problem. Dies ist laut BGH deshalb kein Verstoß gegen eine einheitliche Rechtsprechung und kein Revisionsgrund, weil es eben jeweils eine Einzelfallentscheidung der konkreten Umstände ist, die im Ermessen des jeweiligen Gerichts steht.
Für die Gerichte heißt dies, dass sie fortan die vom BGH genannten Tatbestandsmerkmale der Verwirkung bei bereits beendeten Darlehensverträgen entsprechend würdigen müssen. Erfolg eine Würdigung dieser vom BGH in seinem Beschluss vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 genannten Umstände, ist dem BGH egal, ob das Gericht sodann die Verwirkung annimmt oder ausschließt. Nach der Vorgabe des BGHs bedarf es lediglich einer tatsächlichen einzelfallbezogenen Würdigung der Umstände für ein formal richtiges Urteil. Während sich die anderen Senate des BGHs an dieser Stelle bezüglich der Verwirkung etwas weiter mit eigenen Würdigungen und Ansichten aus dem Fenster lehnen, hält sich der XI. Senat zurück und überlässt die Entscheidung vollständig den Instanzgerichten.
Bei der Annahme der Verwirkung kommt es nach den Ausführungen des XI. Senates alleine auf das sogenannte Zeitmoment und das Umstandsmoment an. Weitere Voraussetzungen fordert der XI. Senat des BGHs im Wesentlichen nicht.
Die Verjährung und Verjährungsfristen spielen bei der Beurteilung weder direkt noch indirekt eine Rolle (BGH 10.10.2017 Az. XI ZR 555/16).
Das Zeitmoment ist regelmäßig gegeben, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht in Anspruch nimmt. Bei vielen Darlehensverträge, die erst Jahre nach Vertragsschluss widerrufen wurden, ist dies im Sinne der Rechtsprechung des BGHs gegeben. Hier gibt es relativ wenig Diskussionsbedarf.
Deutlich kontroverser wird hingegen die Annahme des Umstandsmomentes gesehen. Maßgeblich hierfür ist die Frage, ob der Darlehensnehmer schutzwürdig darauf vertrauen durfte, dass der Widerruf nicht mehr erfolgen wird.
Der BGH gibt hier eine Reihe von Umständen an, die die Instanzgerichte würdigen sollen, ob diese im konkreten Fall ein Vertrauen rechtfertigen, damit der BGH ein Urteil als rechtskonform ansehen würde. Das Beschluss des BGHs vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 gleicht insoweit einem Leitfaden für die Instanzgerichte.
Interessant erscheint in dem Beschluss des BGHs vom 23.01.2018 Az. XI ZR 298/17 sodann auch eher was der BGH nicht schreibt bzw. unerwähnt lässt. Offen lässt der BGH dabei u.a. ob eine Bank schutzwürdiges Vertrauen aufbauen kann, wenn der Bank bekannt ist oder hätte sein müssen, dass die verwendete Widerrufsbelehrung falsch ist und es trotzdem unterlassen hat nachzubelehren. Zwar ist die Nachbelehrung für die Bank laut BGH nur eine Option und keine Pflicht, unerwähnt lässt der BGH aber, wie dies zu würdigen ist, wenn die Bank es trotz Kenntnis der fehlerhaften Widerrufsbelehrung zuvor bewusst unterlassen hat nachzubelehren.
Insbesondere bei vielen der sogenannten Altverträge, die vor dem 11.06.2010 geschlossen wurden und deren Verfahren mit fehlerhaften Widerrufsbelehrungen noch anhängig sind, wurden Widerrufsbelehrungen verwendet, die Formulierungen enthielten, die der BGH bereits vor Jahren als fehlerhaft eingestuft hat. Während dem einzelnen Darlehensnehmer dies regelmäßig unbekannt war, war es keineswegs unbekannt für die Bank. Bei vielen betroffenen Banken gingen schon seit 2012/2013 oder noch früher viele dieser späten Widerrufe ein, sodass auch ein Problembewusstsein vorhanden hätte sein müssen.
Teilweise basiert die Rechtsprechung des BGHs zu fehlerhaften Widerrufsbelehurngen insbesondere bei den Termini „frühestens“ (BGH 09.12.2009 VIII ZR 219/08) und „der Vertragsantrag“ (BGH 10.03.2009 XI ZR 33/08) auf Rechtsprechung des BGHs aus dem Jahre 2009.
Keine diesseits bekannte Bank hat diese Entscheidungen aber zum Anlass genommen, ihre Darlehensnehmer auf bereiter Eben nachzubelehren oder über ein fortbestehendes Widerrufsrecht zu informieren. Die Rechnung dürfte einfach gewesen sein, wie viele Darlehensnehmer widerrufen, wenn eine Nachbelehrung erfolgt und wie viele widerrufen, wenn keine Nachbelehrung erfolgt. Die Banken dürften sich im Wesentlichen bewusst gegen eine Nachbelehrung entschieden haben.
Insoweit erscheint es höchst fraglich, ob den betroffenen Banken in diesen Fällen überhaupt ein schutzwürdiges Vertrauen im Rahmen der Rückführung entstehen konnte. Letztendlich haben die betroffenen Banken in diesen Fällen zwar in der Tat darauf vertraut, dass die Darlehensnehmer nicht mehr widerrufen würden oder eher darauf, dass es den Darlehensnehmer nicht rechtzeitig auffällt, aber den Darlehensnehmern gleichzeitig bewusst das Widerrufsrecht und die Kenntnis darüber vorenthalten. Rechtlich sicherlich zulässig, im Rahmen einer Würdigung nach Billigkeitserwägungen und nur darum geht es bei der Annahme der Verwirkung im Rahmen des § 242 BGB, jedoch eine zu beachtende Tatsache. Letztlich kann nur der schutzwürdig sein, der nicht bösgläubig ist.
Der BGH geht auf derartige Erwägungen nur am Rande ein und führt am Ende seines Beschlusses vom 23.01.2018 XI ZR 298/17 unter der Rn. 21 aus, dass bei dem Tatbestand der Verwirkung auch und gerade auf das Verhalten der Bank zu würdigen ist.
Nach diesseitiger Auffassung ist die Haltung des XI. Senats in der Frage der Annahme der Verwirkung von bereits beendeten Darlehensverträgen nur schwer nachvollziehbar. Wieso die Bank einen Tag vor dem Ende des Vertrages nicht schutzwürdig ist, aber einen Tag danach, sofort ein berechtigtes Vertrauen gehabt haben könnte, dürfte sich den wenigsten Darlehensnehmern erschließen.
Letztlich scheut es aber auch der XI. Senat zur Klärung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung hinsichtlich der Verwirkung und seiner Voraussetzungen den Großen Senat des BGHs anzurufen. Der BGH führt dazu im genannten Beschluss aus, dass alleine der XI. Senat für Darlehensverträge mit Banken zuständig ist und damit die Richtlinien der Verwirkung vorgibt und die Rechtsprechung und Ausführungen andere Senat zur Verwirkung bei anderen Rechtsverhältnissen irrelevant sind und keine divergierende Rechtsprechung der Senat begründen (nur dann wäre der Große Senat des BGHs anzurufen).
Kann man so machen und das Rechtssystem gibt dem BGH diese Möglichkeit, ob das Gesellschaftspolitisch immer die richtige Entscheidung ist, seine eigenen Entscheidungen per eigener Definition als richtig und unanfechtbar hinzustellen, nur weil man weiß, dass gegen die eigene Entscheidung keine regulären Rechtsmittel gegeben sind, sei dahingestellt. Dies auch gerade deshalb, weil sowohl das BverfG als auch der EuGH immer wieder BGH Urteile und Rechtsprechungslinien des BGHs gekippt haben.
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